NEW YORK, FRANKFURT/BERLIN, PARIS: (22. Januar 2020) - Julius Berman, Präsident der Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference), gab heute die Veröffentlichung einer umfassenden Studie zur Kenntnis und Wahrnehmung des Holocaust unter Erwachsenen in Frankreich bekannt; sie unterstreicht sowohl den Wunsch nach als auch die Notwendigkeit von Holocaust-Erziehung.
Die Studie, die nur wenige Tage vor dem 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz veröffentlicht wurde, ist die vierte in einer Reihe von internationalen Umfragen, die von der Claims Conference durchgeführt wurden, um den aktuellen Stand des Wissens über den Holocaust in der Welt zu ermitteln. Ähnlich wie frühere Umfragen in den USA, Kanada und Österreich weisen die Ergebnisse der Frankreich-Studie alarmierende Wissenslücken in Bezug auf historische Fakten über den Holocaust auf.
"Wieder einmal sehen wir einen signifikanten Wissensmangel über den Holocaust, ein historisches Ereignis, das von einschneidender Bedeutung ist", sagte Berman über die Frankreich-Umfrage. "Unsere derzeitige Aufklärung reicht nicht aus; sie führt ins Leere und der aktuelle Trend zunehmender Unkenntnis über den Holocaust, den wir weltweit beobachten, erfordert intensivere Aufklärung.
„Immer weniger Wissen über den Holocaust geht scheinbar einher mit einem immer stärker werdenden Antisemitismus in Frankreich, aber auch weltweit“, sagte Ruediger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland und Mitglied der Taskforce für die Studie. „Wir müssen neue Kommunikationsstrategien für die Holocaust-Vermittlung entwickeln, die geeignet sind, die junge Generation zu erreichen“, so Mahlo weiter.
Die kritischen Lücken, die die Frankreich-Studie aufdeckt, entsprechen den Ergebnissen früherer Umfragen, wobei die Mehrheit der französischen Befragten (57 Prozent) nicht weiß, dass sechs Millionen Juden während des Holocaust getötet wurden. Diese Zahl springt signifikant auf 69 Prozent der befragten Millennials und der Gen Z.
Matthew Bronfman, Vorsitzender der Claims Conference Task Force für Holocaust Knowledge and Awareness Survey, kommentierte: "Es ist verheerend zu erfahren, dass die jüngeren Generationen die Auswirkungen des Holocaust nicht verstehen. Es war der Versuch, ein ganzes Volk auszulöschen. Wie können wir ohne entsprechendes Wissen sicherstellen, dass wir Vorurteilen und unkontrolliertem Hass entschlossen entgegentreten?"
Die Frankreichstudie zeigt auch, dass mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) glaubt, dass sich so etwas wie der Holocaust in Europa wiederholen könnte, ein beunruhigender Befund. Bemerkenswert ist, dass 36 Prozent der französischen Befragten der Meinung sind, dass etwas wie der Holocaust in den Vereinigten Staaten geschehen könnte. Diese Stimmung, reflektiert die Ergebnisse der zuvor durchgeführten Österreich-Umfrage, bei der 47 Prozent der Befragten der Meinung waren, dass so etwas wie der Holocaust in den Vereinigten Staaten wieder geschehen könnte.
Ähnlich wie in der Österreich-Umfrage äußerten sich auch die französischen Befragten zwiespältig über die Haltung ihres Landes während des Holocaust. Eine überwältigende Zahl der französischen Befragten (58 Prozent) glaubt, dass Frankreich sowohl Opfer als auch Täter im Holocaust war.
Es gibt einen deutlichen Altersunterschied, wenn es um das Bewusstsein für die französische Geschichte während des Holocaust, einschließlich der Ereignisse um die Massenverhaftungen im Vel d'Hiv', geht - nur 56 Prozent der Millennials und der Gen Z wissen von den historischen Massenverhaftungen, verglichen mit 74 Prozent der französischen Befragten insgesamt. Schockierend ist auch der Wissensstand über das Internierungslager Drancy, das in einem Vorort von Paris liegt; nur zwei Prozent aller französischen Befragten kennen das Lager.
Ermutigend ist, dass 82 Prozent der Befragten es für wichtig halten, dass auch weiterhin über den Holocaust aufgeklärt wird, damit er sich nicht wiederholt. Weiterhin geben 79 Prozent der Franzosen an, dass alle Schülerinnen und Schüler in der Schule über den Holocaust lernen sollten, während 75 Prozent der Befragten glauben, dass Holocaust-Erziehung in der Schule Pflicht sein sollte. Der Ruf nach Holocaust-Erziehung in Frankreich spiegelt die Ergebnisse der früheren Studien in den USA, Kanada und Österreich wider, die auf einen länderübergreifenden Konsens hinsichtlich der Notwendigkeit von Holocaust-Aufklärung hindeuten.
Robert Ejnes, Exekutivdirektor des Repräsentativrates Jüdischer Institutionen in Frankreich (CRIF), erklärte: "Die Studie enthält bemerkenswerte Informationen, die mit Sorgfalt analysiert werden müssen. Frankreich hat viel im Bereich der Holocaust-Erziehung getan, aber wir alle wissen, dass die Erziehung immer aufs Neue überprüft und an jede Generation angepasst werden muss. Wir betonen daher die Bedeutung einer stetig zu überprüfenden Bildung und des Engagements aller Akteure, um gemeinsam an nachhaltigen Ergebnissen in unserer Gesellschaft zu arbeiten.“
Greg Schneider, Executive Vice President der Claims Conference, kommentierte: "Mit Blick auf den 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz ist es erschreckend, dass der Wissensstand über den Holocaust abnimmt. Selten nur gibt es in einer Angelegenheit einen globalen Konsens, aber das Einverständnis über die Notwendigkeit der Holocaust-Aufklärung sollte für uns ein Aufruf zum Handeln sein.“
Weitere Erkenntnisse aus der Umfrage sind:
Anzahl der ermordeten Juden
• 30 Prozent der französischen Befragten insgesamt und 44 Prozent der Millennials und Gen Z glauben, dass zwei Millionen oder weniger Juden während des Holocausts ermordet wurden.
• In den vier untersuchten Ländern (Vereinigte Staaten, Kanada, Österreich und Frankreich) wusste mehr als die Hälfte der Befragten nicht, dass sechs Millionen Juden im Holocaust ermordet wurden, wobei in Frankreich der höchsten Prozentsatz an Personen war, die nicht wissen, dass sechs Millionen Juden ermordet wurden.
Lager und Ghettos
• Während 66 Prozent der Befragten Auschwitz-Birkenau kennen, kennen nur 19 Prozent der Franzosen das berüchtigte Konzentrationslager Dachau, während der Bekanntheitsgrad von Buchenwald (10 Prozent), Treblinka (6 Prozent), Sobibor (5 Prozent) und Bergen-Belsen (4 Prozent) erschreckend gering ist.
Frankreichs Holocaust-Vergangenheit und der Nationalsozialismus
• Eine überwältigende Zahl der französischen Befragten (58 Prozent) glaubt, dass Frankreich sowohl Opfer als auch Täter des Holocaust war, obwohl 74 Prozent sagen, dass das Vichy-Regime während des Holocaust aktiv mit den Nazis kollaborierte.
• 45 Prozent der Millennials sind sich der Kollaboration der französischen Regierung mit dem Nazi-Regime während des Holocaust nicht bewusst.
• Fast ein Drittel der französischen Befragten (30 Prozent) sagen, dass es heute in Frankreich sehr viele oder viele Neonazis gibt. Eine solide Mehrheit (44 Prozent) sagt, dass es einige wenige gibt. Zum Vergleich: Etwas mehr als 4 von 10 französischen Befragten (43 Prozent) glauben, dass es heute sehr viele/viele Neonazis in den Vereinigten Staaten gibt.
• 59 Prozent der französischen Befragten stimmen zu, dass sich weniger Menschen als früher mit dem Holocaust zu beschäftigen scheinen. Nur 18 Prozent glauben, dass die Menschen immer noch zu viel über die Geschehnisse während des Holocaust sprechen.
• 69 Prozent der französischen Befragten glauben, dass Antisemitismus in Frankreich entweder MEHR (35 Prozent) oder genauso weit verbreitet ist (34 Prozent) wie vor 10 Jahren. Nur 18 Prozent sagen, dass der Antisemitismus weniger verbreitet ist als vor 10 Jahren.
• Doppelt so viele Millennials (20 Prozent) wie alle französischen Befragten (10 Prozent) halten es für akzeptabel, wenn eine Person antisemitische Ansichten vertritt.
Holocaust-Erziehung
• 25 Prozent der Millennials sind sich nicht sicher, ob sie jemals vom Holocaust gehört haben oder nicht, im Vergleich zu 16 Prozent aller französischen Befragten.
• 79 Prozent der französischen Befragten sagen, dass alle Schülerinnen und Schüler in der Schule über den Holocaust lernen sollten, und 75 Prozent glauben, dass Holocaust-Erziehung in der Schule obligatorisch sein sollte. Zusätzlich sagen 82 Prozent der Befragten, dass es wichtig ist, weiterhin den Holocaust im Unterricht zu behandeln, zum Teil, damit er sich nicht wiederholt.
• Etwa 4 von 10 Befragten (41 Prozent) sagen, dass der derzeitige Unterricht über den Holocaust verbessert werden könnte.
• Fast zwei Drittel der Millennials und der Gen Z (64 Prozent) hörten erstmals in der Schule vom Holocaust, im Vergleich zu 46 Prozent aller befragten französischen Erwachsenen.
• 64 Prozent aller französischen Befragten nennen "Anne Frank: Tagebuch eines jungen Mädchens" als erste Holocaust-Erfahrung, aber nur 20 Prozent der Befragten wissen, dass der Holocaust in den Niederlanden stattfand, wo Anne Frank versteckt war, während sie ihr Tagebuch führte; das weist auf einen Mangel an Kontext in der aktuellen Holocaust-Erziehung.
Taskforce Studie
Die Taskforce für die Studie unter der Leitung von Matthew Bronfman, Mitglied des Direktoriums der Claims Conference, bestand aus Holocaust-Überlebenden sowie Vertreter*innen von Museen, Bildungseinrichtungen und führenden Non-Profit-Organisationen im Bereich der Holocaust-Erziehung, darunter die folgenden: Yad Vashem, United States Holocaust Memorial Museum, Fondation pour la Mémoire de la Shoah, Representative Council of Jewish Institutions in France (CRIF), Claims Conference und die George Washington University.
Erhebungsmethodik und Stichprobe
Die Holocaust Knowledge and Awareness Study wurde von der Claims Conference in Auftrag gegeben. Die Daten wurden in französischer Sprache erhoben und von Schoen Consulting mit einer repräsentativen Stichprobe von 1.100 französischen Erwachsenen über Festnetz, Handy und Online-Interviews analysiert. Die Befragten wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und bildeten eine demographisch repräsentative Stichprobe der erwachsenen Bevölkerung in Frankreich.