Saul Kagan, Architekt der Holocaust-Entschädigung und Restitution

 

Saul Kagan war der Architekt der Holocaust-Entschädigung und -Restitution. Er hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den jüdischen Überlebenden des Holocaust ein Mindestmaß an Gerechtigkeit zu verschaffen. Er war Rückgrat und Motor eines einzigartigen historischen Unterfangens. Wenn die Geschichte der Entschädigung und Restitution von Holocaust bezogenem Unrecht einmal abgeschlossen sein wird, wird der Name Saul Kagan wie ein roter Faden immer wieder auftauchen.

Saul Kagans Arbeit war ohne Eigennutz. Wenn jemand auf seine Lebensleistung stolz sein konnte, so wäre es Saul Kagan gewesen – er, der sechs Sprachen sprach, der Zahlungen in Milliardenhöhe an die Überlebenden ermöglichte. Wie kein Zweiter erinnerte und kannte er die Historie. Saul Kagan arbeitete ausschließlich für seine Mission und nie für sich selbst. Seine Person stand für Bescheidenheit, Zurückhaltung, Integrität und Weisheit. 

Saul Kagan verließ das damals polnische Wilno (Vilnius) 1940 im Alter von 18 Jahren und gelangte über Wladiwostok, Japan und Hawai zu Verwandten in New York. Seine Mutter und Geschwister wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Kagan trat in die US-Armee ein, landete kurz nach dem D-Day in Europa und wurde Chef der Finanzdirektion der US-Armee im Nachkriegsdeutschland. Dies war der Auftakt zu einer lebenslangen Mission, die in den späten 40er Jahren mit der Koordinierung der Vermögensrestitution durch die US-Militärregierung sowie der Hilfe und Umsiedlung der Displaced Persons begann. 

Meilensteine seiner Karriere waren die Luxemburger Abkommen von 1952, die deutsche Zahlungen an die Claims Conference und den Staat Israel beinhalteten, die Errichtung von Yad Vashem mit Geldern der Claims Conference, die klandestine Unterstützung von Holocaust-Überlebenden in der damaligen Sowjetunion, Abkommen mit der deutschen Industrie zur Entschädigung von Sklavenarbeit vier Dekaden vor der Errichtung der Zwangsarbeiterstiftung im Jahr 2000, verschiedene Abkommen mit aufeinanderfolgenden österreichischen Regierungen, das erste Programm zur Unterstützung von Gerechten unter den Völkern, individuelle Zahlungen an Überlebende im Rahmen der Härtefonds der Claims Conference und die Restitution jüdischen Vermögens in der ehemaligen DDR. 

Jüngere Verhandlungserfolge bei der Bereitstellung von Geldern für die häusliche Betreuung von Überlebenden und weitreichenden Liberalisierungen in den Entschädigungsprogrammen der Claims Conference beruhen auf dem von Saul Kagan errichteten Fundament. In Verhandlungen mit der Deutschen Regierung und anderen Regierungseinrichtungen etablierte er die Maxime, dass das Leiden eines jeden NS-Opfers wahrgenommen und anerkannt werden müsse. 

All die genannten Programme kamen nur zustande, weil das Wort „nein“ in Saul Kagans Vokabular nicht vorkam. Er stellte unter Beweis, dass Mut und Selbstvertrauen alltäglichen Begebenheiten eine historische Dimension verleihen können. Mit seinem Wirken schrieb Kagan Geschichte; zugleich nutzte er die Geschichte, um zielgerichtet neue Möglichkeiten zu eröffnen.

Es gibt Überlebende auf der ganzen Welt, die seinen Namen nicht kennen und ihn vermutlich auch niemals kennen werden; Saul Kagans Anstrengungen jedoch ist es zu danken, dass ihnen seit Ende des II. Weltkrieges Anerkennung und materielle und tatkräftige Hilfe zuteil wurden.