Frankfurt: Platz vor dem I.G. Farben Haus nach Vorkämpfer für Zwangsarbeiterentschädigung umbenannt

Das während der Umbenennungszeremonie enthüllte Straßenschild erinnert an Norbert Wollheim. Copyright Fritz-Bauer-Institut, Foto Werner Lott

Norbert Wollheim, Überlebender von Auschwitz und des Arbeitslagers Buna-Monowitz, wurde posthum von der Goethe Universität Frankfurt durch die Umbenennung eines Platzes auf seinen Namen geehrt. Als Erster hatte er erfolgreich ein deutsches Industrieunternehmen, für das er als Häftling eines Konzentrationslagers Zwangsarbeit leisten musste, verklagt.

Die Universität hat den Grüneburgplatz in Norbert-Wollheim-Platz umbenannt. Der Platz befindet sich unmittelbar vor dem I.G. Farben Haus, dem früheren Hauptsitz des deutschen Konzerns, der in seinen Fabriken während des Zweiten Weltkrieges jüdische Sklavenarbeiter eingesetzt hatte. Seit 1996 beherbergt das Gebäude rund ein Dutzend Fachbereiche des heutigen Campus Westend. Bei der Zeremonie erklärte der Frankfurter Bürgermeister Olaf Cunitz, dass durch die Umbenennung des großen parkähnlich angelegten Platzes die Opfer der I.G. Farben ihre Würde zurückerhielten, eine Geste, die seit langem überfällig gewesen sei.

Die Claims Conference hat mehr als ein Jahrzehnt für die Umbenennung der Grünfläche nach Norbert gekämpft, der 1998 im Alter von 85 Jahren gestorben ist. Gemeinsam haben Norbert und die Claims Conference den Prozess angestoßen, in dessen Verlauf so viele Sklavenarbeiter der Schoah eine Entschädigung für ihre Zwangsarbeit unter dem nationalsozialistischen Todesregime erhalten konnten. Wir zollen der Universität unsere Anerkennung, dass sie Norbert und mit ihm seine jüdischen Mitgefangenen in Auschwitz, die für die I.G. Farben zur Arbeit gezwungen wurden, auf diese Weise ehrt.

Im Jahr 1913 geboren wollte Norbert zunächst Rechtsanwalt in Berlin werden, doch die Machtübernahme der Nationalsozialisten machte seine Pläne zunichte. Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Organisation der Kindertransporte, mit deren Hilfe jüdische Kinder aus Deutschland und anderen besetzten Ländern zwischen 1938 und 1940 nach England gebracht wurden.

1943 wurden Norbert, seine Frau und ihr dreijähriger Sohn nach Auschwitz deportiert. Unmittelbar nach der Ankunft wurden Frau und Kind ermordet. Norbert selbst kam ins Arbeitslager Buna-Monowitz, wo er zusammen mit Tausenden anderen jüdischen Gefangenen bei der Errichtung einer Fabrik für die I.G. Farben eingesetzt wurde; deren Tochter Degussa produzierte das berüchtigte Gas Zyklon B, das in den Gaskammern der Nationalsozialisten eingesetzt wurde. In der Fabrik sollte synthetisches Gummi hergestellt werden. Norbert wurde 1945 von den alliierten Truppen in Deutschland befreit.

Als Gründungsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland wirkte Norbert entscheidend bei der Neugründung jüdischer Gemeinden in Deutschland nach dem Holocaust mit.

Mit Unterstützung der Claims Conference verklagte Norbert 1951 die I.G. Farben. Das Gericht sprach ihm für zwei Jahre Sklavenarbeit eine Entschädigung zu. Nach Norberts Anfangserfolg vor deutschen Gerichten erklärte sich die I.G. Farben bereit, Gespräche mit der Claims Conference aufzunehmen und über einen Globalvergleich zu verhandeln, der alle Sklavenarbeiter einbeziehen sollte, die für das I.G. Farben-Werk in Auschwitz gearbeitet hatten. 1957 trafen die Claims Conference und I.G. Farben eine Vereinbarung über 27 Millionen DM für jüdische und weitere drei Millionen DM für nichtjüdische Sklavenarbeiter, die für die I.G. Farben in Auschwitz Zwangsarbeit leisten mussten.

Die Vereinbarung war die erste zwischen einem deutschen Unternehmen und einer jüdischen Organisation über Entschädigungszahlungen an jüdische KZ-Überlebende. Wollheims Klage und das anschließende Abkommen zwischen der Claims Conference und der I.G. Farben bereiteten den Weg für erfolgreiche Verhandlungen mit deutschen Unternehmen bis hin zur Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“; auf diese Weise konnten über die Jahre hinweg zehntausende jüdische Sklavenarbeiter, die während der Schoah von deutschen Industrieunternehmen ausgebeutet wurden, entschädigt werden.

Mit seinem Initialprozess wurde Norbert Wollheim zu einem wirklichen Helden für die vielen Überlebenden der Schoah, die Sklaven der Kriegsmaschinerie des Dritten Reiches gewesen waren.

Das I.G. Farben-Haus war in der Nachkriegszeit und in den Jahren des „Kalten Krieges“ bis Mitte der 90er Jahre Sitz der amerikanischen Militärregierung; dann übernahm es die Goethe Universität.

Die Claims Conference, die Überlebenden von Buna-Monowitz und Studenten der Universität haben immer wieder darauf gedrängt, die Erinnerung an die Rolle der I.G. Farben im Holocaust wachzuhalten, nicht nur in Hinblick auf den Einsatz von Sklavenarbeit, sondern gerade auch im Hinblick auf Buna-Monowitz, wo Norbert Wollheim zur Arbeit gezwungen wurde.

Die Initiative zur Umbenennung des Grüneburgplatzes – Postadresse der Universität - in Norbert-Wollheim-Platz kam übrigens von Dr. Karl Brozik sel. A., dem damaligen Repräsentanten der Claims Conference in Deutschland. Anstelle der Umbenennung wurde 2008 vor Ort zunächst das Wollheim Memorial eingeweiht (in Anwesenheit des früheren Executive Vice President Saul Kagan sel. A). Das Wollheim Memorial ist eine künstlerische und pädagogische Installation. Die Website des Memorials dokumentiert die Sklavenarbeit bei I.G. Farben und erzählt Norberts Geschichte.

Als die Frage nach der Umbenennung des Grüneburgplatzes 2014 erneut aufkam, zählte die Claims Conference zu den nachdrücklichsten Befürwortern.

Norbert Wollheims Mut, die I.G. Farben zu verklagen, bildete Basis und Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen der Claims Conference mit deutschen Unternehmen. Wir danken Norbert für seine Anstrengungen und Hilfe und sind dankbar, dass wir Anteil daran haben durften, ihn und seinen Opferweg als Sklavenarbeiter zu ehren.

Die Vorkämpfer für ein Mindestmaß an Gerechtigkeit für die Überlebenden der Schoah wie Norbert Wollheim sel. A., Karl Brozik sel. A. und Saul Kagan sel. A. sind uns auch heute noch ein Ansporn, ihr Ziel weiterzuverfolgen, jetzt da die Überlebenden in ihrem letzten Lebensabschnitt sind.